Motivationsloch Saisonende
Das Ende der Saison stellt Wettprofis und Buchmacher gleichermaßen vor Probleme: Die Motivation der Teams ist in vielen Fällen fragwürdig, Spieler werden geschont, und die auflaufenden Spieler lassen es möglicherweise ruhig angehen, um für das große Finale oder die anstehende Weltmeisterschaft gesund zu bleiben. In solchen Situationen geraten auch die besten Algorithmen an ihre Grenzen, weil plötzlich grundlegend andere Regeln gelten.
Buchmacher reagieren auf diese Situation mit geringeren Einsatzlimits, um so ihr Risiko in Grenzen zu halten. Wettprofis auf der anderen Seite müssen dagegen überlegen, ob sie ihre Wetten überhaupt platzieren sollten, selbst wenn ihr Modell grünes Licht gibt. Für die meisten Fälle lässt sich dieses Problem mit einer vergleichsweise einfachen Formel lösen.
Ein einfacher Ansatz: Punkteschnitt pro verbleibendem Spieltag
Im Fußball beispielsweise ist in aller Regel die Abschlusstabelle des Ligabetriebs das Maß aller Dinge – entsprechend sollte dein Motivationsmaß M abschätzen, ob ein bestimmtes Saisonziel noch erreichbar ist. Gleichzeitig sollte das Motivationsmaß aber auch berücksichtigen, wie viele Spiele in der laufenden Saison noch zu absolvieren sind. Denn ein Vorsprung von sieben Punkten ist drei Spieltage vor Schluss aus offensichtlichen Gründen weitaus komfortabler, als der selbe Vorsprung 13 Spieltage vor dem Saisonende.
Ein logischer erster Ansatz im Meisterschaftsrennen für die beteiligten Teams wäre also, den Punkteabstand durch die Anzahl der noch zu absolvierenden Spiele zu teilen.
Team A ist in dieser ersten Formel das Team, dessen Motivationskoeffizienten du ausrechnest; bei Team B handelt es sich um den härtesten Konkurrenten. Für den Tabellenführer ist Team B also der Tabellenzweite; für alle Verfolger ist Team B dagegen der Tabellenführer.
Praktisches Beispiel: Meisterschaftsrennen Bundesliga
Die Verfolgerteams auf Platz 2 und darunter haben einen Punkterückstand auf Platz 1, weshalb sich für diese Teams ein negativer Wert M ergibt. Das erscheint sinnvoll, weil so auf einen Blick klar wird, ob eine Mannschaft noch aufholen, oder lediglich einen Punktepolster verteidigen muss. Dieser Aspekt ist wichtig, weil er potentiell Aufschluss darüber gibt, wie viel Risiko ein Team einzugehen bereit ist.
Vor dem 32. Spieltag ergibt sich im Meisterschaftsrennen der Bundesliga beispielsweise folgendes Bild:
Motivationsmaß M in der Bundesliga vor dem 32. Spieltag (Meisterschaft)
Team | Vorsprung/Rückstand | Spiele übrig | M |
---|---|---|---|
Bayern München | |||
Borussia Dortmund | |||
RB Leipzig | |||
Eintracht Frankfurt |
Die Motivationswerte für Bayern München und Borussia Dortmund sind beide relativ nahe an der Null, was ausdrückt, dass es relativ knapp zugeht und die Motivation entsprechend hoch ist. RB Leipzig dagegen müsste im Schnitt 2.33 Punkte auf Bayern München pro Spiel aufholen, was zwar theoretisch möglich ist, in der Praxis aber kaum machbar sein dürfte. Je näher der Wert bei 3 bzw. -3 liegt, desto aussichtsloser die Situation – und desto unmotivierter ist die betreffende Mannschaft.
Ist der M-Wert eines Team mehr als 3 Punkte von der Null entfernt (wie das in diesem Beispiel für Eintracht Frankfurt der Fall ist), ist keine Motivation mehr vorhanden[1]. Bei einem Wert von mehr als 3 Punkten ist das Saisonziel bereits erreicht, bei weniger als -3 Punkten ist es dagegen sicher verfehlt.
Und so sieht das Motivationsmaß M für das Rennen um den letzten verbleibenden Platz in der Champions League aus:
Motivationsmaß M in der Bundesliga vor dem 32. Spieltag (Champions League)
Team | Vorsprung/Rückstand | Spiele übrig | M |
---|---|---|---|
Eintracht Frankfurt | |||
Bor. Mönchengladbach | |||
Bayer 04 Leverkusen | |||
TSG Hoffenheim | |||
VfL Wolfsburg | |||
Werder Bremen |
Wie du das Motivationsmaß M verwenden kannst
Das Motivationsmaß M bietet dir die Möglichkeit, auf sehr einfache Weise Teams mit Motivationsproblemen herauszufiltern. Da der Prozess weitgehend automatisierbar ist, ist das vor allen Dingen dann nützlich, wenn du sehr viele Ligen abdeckst – was du in der Bundesliga aus dem FF weißt, mag in obskureren Ligen anders aussehen.
Besonders interessant ist M aber in den Grenzfällen, in denen Teams schon relativ früh in der Saison gefährlich nahe an der -3 schnuppern (Hannover) oder wie Mainz und Hertha zeitig im Niemandsland der Tabelle gestrandet sind. Da M leicht zu berechnen ist, kannst du sehr leicht historische Vergleiche ziehen, und sehen, ob sich historisch bei Teams in ähnlichen Situationen ein Leistungsabfall ergeben hat. Auch historische Wettquoten können in diesem Zusammenhang sehr interessant sein.
Probleme und Sondersituationen
Natürlich ist die vorgestellte Formel längst noch nicht vollständig, und ich werde sie in einem weiteren Blogpost noch etwas verfeinern. Denn offensichtlich gibt es ein paar Probleme, die ich in diesem Post noch nicht berücksichtigt habe.
Die Tordifferenz
Beispielsweise ist die Tordifferenz ebenfalls ein wichtiger Faktor. In manchen Fällen ist die Lage eindeutig geklärt, wie das beim Duell Bayern gegen Dortmund der Fall ist – bei Punktgleichheit wird Bayern die Nase vorne haben. Das könnte man beispielsweise abbilden, in dem man die Tordifferenz als halben Punkt wertet.
Problematischer wird das aber in Fällen, die weniger eindeutig sind. Möglicherweise ist es besser, noch etwas feiner zu unterscheiden – dazu dann im nächsten Blogpost mehr.
Eine unterschiedliche Anzahl verbleibender Spiele
Es kommt häufiger vor, dass nicht alle Teams noch die selbe Anzahl an Spielen absolvieren müssen. Im Fußball ist das noch eher die Ausnahme, in den amerikanischen Profiligen dagegen sogar meist die Regel. In diesen Fällen ist die Frage, welche Zahl du für die verbleibenden Spiele eigentlich zu Rate ziehen solltest. Die Antwort darauf ist nicht ganz eindeutig, und auch das will ich im nächsten Blogpost genauer erörtern.
Andere Wettbewerbe
Mit Vorsicht zu genießen sind auch Fälle, in denen die betreffende Mannschaft noch in anderen Wettbewerben vertreten sind, was in dieser Phase der Fußballsaison meistens auf wichtige nationale oder internationale Pokalspiele hinausläuft. In diesen Fällen ist dein M für die betreffende Mannschaft möglicherweise nicht aussagekräftig.
Trainerwechsel und andere Ereignisse
Immer wieder kann es zudem zu Trainerwechseln kommen, oder anderen Krisensituationen im Club. Ein Beispiel ist der Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB, aber auch Finanzkrisen können zu Situationen führen, in denen die Motivation einer Mannschaft nicht länger leicht vorhergesagt werden kann.
Fußnoten:
[1] Das gilt wohlgemerkt für das Meisterschaftsrennen. Offensichtlich ist Frankfurt grundsätzlich schon noch motiviert, da es noch um die Teilnahme an der Champions League geht.